<p>OPEN GRID EUROPE <br>KI-GESTÜTZTE <br>DOKUMENTENVERARBEITUNG</p>
Während der Ausbau von erneuerbaren Energien nur schleppend vorankommt, steht Wasserstoff als Hoffnungsträger bereit. Das Gemeinschaftsprojekt „Zukunft RuH2r“ von mehreren Fernleitungs- und Verteilnetzbetreibern zielt auf eine leistungsfähige Wasserstoffversorgung ab und will Wasserstoff als Energielieferant der Zukunft in Deutschland etablieren. Eine adäquate Infrastruktur zum Transport von Wasserstoff ist bislang allerdings noch Wunschdenken. Der Schlüssel zur Realität könnte im Ferngasnetz der Open Grid Europe GmbH (OGE) liegen – einem 12.000 Kilometer langen Leitungsnetz für den Transport von Erdgas. Ob diese Rohre mit all ihren Komponenten Wasserstoff-tauglich sind, will OGE prüfen. adesso unterstützt mit Hilfe einer eigens entwickelten KI-Anwendung bei der Digitalisierung von alten Berichten und Materialzeugnissen.
„Auf Kohle geboren, mit Stahl in den Adern.“ Das Ruhrgebiet ist stolz auf seine Historie, auf seine Steinkohle und den Bergbau, der heute selbst zur Geschichte der Region gehört. Das Kapitel Bergbau ist geschlossen, die Region muss umdenken. Ausgerechnet dort, beginnend in der Metropolregion Ruhrgebiet bis Südwestfalen, soll nun ein Eckpfeiler zur Klimaneutralität entstehen. OGE mit Sitz in Essen will Vorreiter werden beim Transport von Wasserstoff. Aktuell fließt noch Erdgas durch die Rohre, die sich in ganz Deutschland verteilen. 650 Milliarden Kilowattstunden Gas gelangen jährlich durch das 12.000 Kilometer lange Leitungsnetz zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Zwar ist Erdgas kurz- und mittelfristig noch fester Bestandteil der deutschen Klimapolitik, doch spätestens ab 2050 muss auch dieser Energieträger wegfallen. Theoretisch steht der Energieversorgung durch Wasserstoff also nichts mehr im Wege.
Doch die Realität sieht anders aus. Denn wer einen Blick in die Rohre des Leitungsnetzes mit seinen unzähligen Einzelteilen wirft, fragt sich schnell: Sind diese Leitungen mit ihren vielen Bauteilen überhaupt geeignet für den Transport von Wasserstoff? Lassen ihre chemischen und mechanischen Eigenschaften eine Überführung dieses Elements überhaupt zu? Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, möchte OGE ihr Fernleitungsnetz auf die Tauglichkeit für einen Infrastrukturwechsel prüfen. Allerdings liegt die gesamte technische Dokumentation aller verbauten Materialien lediglich in Form von losen, eingescannten Dokumenten vor. Und das sind nicht wenige: Über 100.000 Prüfberichte und Zeugnisse auf mehr als 1,6 Millionen Einzelseiten existieren, die ältesten stammen aus dem Jahr 1920. Damals wurden die Berichte noch handschriftlich festgehalten, Jahre später zumindest mit Hilfe von Schreibmaschinen. Werkstoffbezeichnungen und Normen, die damals noch gültig waren, haben sich zudem im Laufe der Jahrzehnte geändert. Der Aufbau der Dokumente war darüber hinaus keineswegs einheitlich. Mit diesen Herausforderungen wandte sich OGE an adesso.
Das Ziel: die relevanten Bauteilinformationen und Materialdaten extrahieren, aufbereiten und für weitere analytische Verwendungszwecke verfügbar machen. Schnell war klar, dass nur der Einsatz von Künstlicher Intelligenz Licht in den Dokumentendschungel bringen konnte. Ihr Vorteil: Sie erzeugt Daten, die wiederum für andere KI‑Anwendungen eingesetzt werden können, beispielsweise im Bereich von Predictive Maintenance – vorausschauende Instandhaltung. Nicht unwichtig für Leitungen und Bauteile, die regelmäßig gewartet werden müssen.
In Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Planet AI entwickelte adesso eine individuell auf dieses Projekt zugeschnittene KI-Anwendung. Diese automatisierte Dokumentenverarbeitung konnte signifikant höhere Erkennungsraten bei handschriftlichen und schreibmaschinellen Texten verbuchen als beispielsweise eine Open-Source-Lösung. Die Verarbeitung von Dokumenten erfolgt in drei Schritten.
Am Ende dieses Prozesses steht ein qualitativ hochwertiger Datensatz, der in Form einer Datenbank bereitgestellt wird. Anhand verknüpfter Geo-Informationen können die Materialdaten auf einer Karte verortet und bestimmten Pipelineabschnitten zugeordnet werden. Damit können die OGE-Fachleute ganze Abschnitte hinsichtlich der verbauten Materialien auf Wasserstoff-Tauglichkeit prüfen.
SCHRITT 1 – KLASSIFIZIERUNG
Die KI bekommt einen Hinweis, um was für eine Dokumentenklasse es sich grob handelt. Beispiel: TÜV-Süd-Prüfzeugnis aus den Jahren 1990–1995. Dadurch kann die KI besser ermitteln, wo und in welcher Form sie Informationen findet, die sie extrahieren soll. Das erhöht die Qualität der Extraktion.
SCHRITT 2 –AUSLESEN DER DOKUMENTE
Die KI liest mit Hilfe ihres antrainierten Sachverstandes die richtigen Werte der Dokumente aus, wie zum Beispiel Herstellername, Druckklasse oder Materialkennung.
SCHRITT 3 –AUFBEREITUNG DER DATEN
An dieser Stelle erfolgt ein sogenanntes Cleansing. Falsche oder fehlende Werte werden bereinigt, auf Plausibilität geprüft und falls möglich korrigiert. Außerdem werden in diesem Schritt ähnliche Bauteile zu Gruppen zusammengefasst.
„Wir können nun zum ersten Mal ein historisch gewachsenes System einheitlich darstellen und auswerten“, zeigt sich Dr. Daniel Bick, Referent für Wasserstofftechnologien bei der OGE, begeistert über die Projektergebnisse. „Wir sehen, welche Rolle KI-Anwendungen bereits in der täglichen Arbeit spielen. Für uns verwandelten sie teils hundert Jahre alte handschriftlich verfasste Informationen zu Datensätzen. Und das mit einer Präzision, die uns immer noch jeden Tag beeindruckt.“ Nicht nur für OGE sind KI-Anwendungen dieser Art interessant und hilfreich. Viele Gasleitungsnetzbetreiber stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie OGE, erklärt Sven Langhoff, Leiter des Projekts bei adesso: „Wir sind gemeinsam mit OGE bereits im Austausch mit anderen Betreibern. Überall dort, wo es gilt, Informationen in Form von Text zu lesen, zu verstehen und zu verarbeiten, bieten KI-Verfahren ein enorm hohes Potenzial zur Automatisierung von Prozessen und damit Zeitersparnis.“
Die Open Grid Europe GmbH (OGE) mit Sitz in Essen ist ein Fernleitungsnetzbetreiber für Erdgas. OGE betreibt das größte Ferngasnetz Deutschlands mit einer Länge von rund 12.000 Kilometern. Das Unternehmen beschäftigt rund 1.450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Vertrieb, Dispatching, Dienstleistung und technischer Infrastruktur. In seiner jetzigen Struktur startete das Unternehmen im September 2010. Die Ursprünge reichen jedoch über Jahrzehnte zurück: 1926 wurde die Aktiengesellschaft für Kohleverwertung (AGKV), die künftige Ruhrgas AG, gegründet – eine Vorläuferin der OGE. Heute will die OGE die Energiewende in Deutschland vorantreiben, indem sie ihr Leitungsnetz in Zukunft für den Transport von Wasserstoff zur Verfügung stellt.