<p><span class="color-class-body">GESPRÄCH </span></p><p><span class="color-class-body">FORSCHUNG UND INNOVATION</span></p>
Angela Carell, Head of Research, und Thomas Bendig, Chief Innovation Officer, sprechen mit Volker Gruhn, Gründer und Aufsichtsratsvorsitzender, (alle adesso) über die Bedeutung von Innovation und Forschung für einen IT-Dienstleister.
VOLKER GRUHN: Im Herzen sind wir bei adesso leidenschaftliche Softwareentwicklerinnen und -entwickler. Wir wollen für unsere Kundschaft gute Lösungen in guten Projekten bauen. Welche Rolle spielen Forschung und Entwicklung dabei?
ANGELA CARELL: Als IT-Partner ist es nicht nur unsere Aufgabe, heute im Tagesgeschäft zu liefern. Wir müssen auch langfristig denken. Deswegen setzen wir in unseren anwendungsorientierten Forschungsprojekten frühzeitig neue Technologien ein. Wir nehmen für unsere Kunden die Zukunft vorweg. So sorgen wir dafür, dass das, was wir ihnen morgen anbieten, funktioniert. Wir achten bei der Auswahl von Forschungsthemen darauf, dass sie eng an die Bedürfnisse und Branchen unserer Kundschaft angelehnt sind. Forschung ist für uns ein Platz zum Ausprobieren, eine Spielwiese. Gemeinsam mit Partnerinnen und Partnern aus der Wissenschaft und Praxis gehen wir die Projekte an. Das Umsetzen der Forschungsinitiativen erfolgt dann immer in unseren operativen Einheiten – also nah am Markt. Die ständige Rückkoppelung aus der Praxis verhindert, dass wir am Bedarf vorbeiforschen.
THOMAS BENDIG: Daran kann ich aus Innovationssicht direkt anknüpfen. Hier gilt es, neue Trends und Technologien frühzeitig zu identifizieren und einzuordnen, ob sie für uns oder unsere Kundschaft eine Chance oder eine Herausforderung sind. Damit wir das leisten können, müssen wir unser Handwerkszeug, also die neuesten Technologien in der Softwareentwicklung, beherrschen und die Branchen unserer Kunden verstehen. Mit Betonung auf „und“. Das tiefe Verständnis der Branche ist uns bei adesso besonders wichtig. Aus diesem Blickwinkel schauen wir auch auf Innovationsthemen: Kann diese konkrete Idee oder neue Technologie unserer Kundschaft dabei helfen, wirtschaftlich erfolgreicher zu sein? Sorgt sie für bessere und effizientere Projekte? Nur dann beschäftigen wir uns mit einem Thema. Auf dieser Basis analysieren wir vorausschauend, welche Veränderungen auf die Unternehmen zukommen – wie man sie zum Vorteil nutzen kann und welche Kompetenzen dafür notwendig sein werden. Wir wollen, so lässt es sich auf den Punkt bringen, Antworten parat haben, bevor uns die Fragen gestellt werden.
VOLKER GRUHN: Beide Aspekte sind miteinander verknüpft. Wie gestaltet ihr das Zusammenspiel zwischen Innovation und Forschung?
THOMAS BENDIG: Für uns ist das eine Pipeline. Auf der einen Seite steht die Technologiefrüherkennung. Am anderen Ende umgesetzte Projekte und fertige Lösungen. Dazwischen liegen das Innovationsmanagement und die Forschung. Bei den identifizierten Themen bewerten und entscheiden wir dann gemeinsam, ob, wann und wie sie durch Forschungsprojekte zur Marktreife gebracht werden sollen.
ANGELA CARELL: Entscheidend für dieses Bewerten ist für uns der Übergang „from if to when“, wie es die Autoren Geoff Tuff und Steven Goldbach in ihrem Buch „Provoke“ ausdrücken. Gemeint ist hier der Zeitpunkt, an dem klar wird, dass ein Thema, eine Technologie sich durchsetzen wird. Es ist aber noch unklar, wann das passiert. Und genau dann entscheiden wir, in welchen Strängen unseres Innovationsprozesses wir uns damit befassen: im Rahmen großer Forschungsprojekte, als interne FUE, gemeinsam mit Kunden als Proof of Concept oder in einer anderen Ausprägung. Manchmal entwickelt ein Thema so eine große Dynamik, dass wir verschiedene Stränge parallel angehen. Manchmal ist es eher ein Nacheinander.
VOLKER GRUHN: Das sind die Rahmenbedingungen für Innovation und Forschung bei adesso. Und was kommt dabei raus? Welche Beispiele könnt ihr nennen?
ANGELA CARELL: Mir fällt direkt ein Projekt aus dem Bereich Health ein. Eins, das zunächst gar kein Erfolg war. Wir setzten gemeinsam mit der Universität Leipzig 2016 ein Forschungsprojekt auf. Ziel war, eine App für Menschen zu entwickeln, die von Depressionen betroffen sind. Wir wollten anhand von Daten erkennen, wann sich bei Betroffenen der Beginn oder auch das Ende einer depressiven Phase andeutet. Das war damals ambitioniert, auch bei adesso war die Skepsis groß. Und wir konnten die erhofften Ergebnisse tatsächlich nicht liefern.
Aber wir verfolgten das Thema weiter. Es gab Folgeprojekte und inzwischen änderte sich auch die rechtliche Seite. So können Patientinnen und Patienten sich jetzt digitale Gesundheits-Apps verschreiben lassen. Wir waren 2016 schlicht zu früh dran. Aber: Die Erfahrungen von damals sind die Grundlage, auf der wir heute Gesundheits-Apps für unsere Kunden entwickeln. Das beweist zwei Dinge: Ohne den Mut, wirklich visionär zu denken, was ein Scheitern natürlich wahrscheinlicher macht, gibt es keine Forschung, die uns wirklich voranbringt. Und es bedarf manchmal eines langen Atems, bis wir gemeinsam mit unserer Kundschaft die Früchte ernten können.
THOMAS BENDIG: Wir schauen besonders genau auf die Innovationen, die für uns als Softwarefachleute relevant werden könnten, beispielsweise Entwicklungsmethoden und Werkzeuge. Das sind im Moment No Code oder Low Code. Wir prüfen gemeinsam mit unseren Expertinnen und Experten, welche Auswirkungen die Themen auf unsere Arbeit haben. Und ob sie eine Gefahr für unser Geschäftsmodell oder eine Chance für neue Projekte darstellen. Natürlich loten wir aus, ob unsere Kunden auch in Zukunft noch die Unterstützung von adesso benötigen, wenn alle ohne tiefgreifende Programmierkenntnisse Anwendungen erstellen können.
VOLKER GRUHN: Oha, das interessiert mich auch.
THOMAS BENDIG: Da kann ich Entwarnung geben. Es zeichnet sich ab, dass No-Code- und Low‑Code‑Verfahren spannende Werkzeuge für unsere Teams sind, mit deren Hilfe sie schneller Showcases und Prototypen erstellen. Dies beschleunigt Abstimmungsprozesse mit der Kundschaft und ermöglicht schnelle Ergebnisse, aber es ersetzt Entwicklerinnen und Entwickler nicht. Deutlich weiter in die Zukunft reicht das Beispiel Quantencomputing. Kunden kommen auf uns zu und wollen wissen, welche Auswirkungen diese Technologie auf ihr Geschäft und ihre Prozesse hat. Wie häufig bei Innovationen geht es darum, hinter der überhitzten Debatte die real nutzbare Entwicklung zu analysieren. Stand heute sind wir von leistungsfähiger Hardware und komfortablen Software-Development-Kits für Quantencomputer noch ein Stück weit entfernt. Aber das Disruptionspotenzial in den nächsten zehn Jahren ist groß. Deswegen engagieren wir uns schon heute bei dem Thema und bauen Erfahrung und Fachwissen auf. Auch hierbei setzen wir wie immer auf Technologieoffenheit und kooperieren mit verschiedenen Technologiepartnern.
VOLKER GRUHN: Von Gesundheits-Apps bis zu Quantencomputern: Wir decken mit unseren Forschungs- und Innovationsaktivitäten ein breites Spektrum ab. Ein Punkt ist mir abschließend noch wichtig. Aus meiner Sicht ergeben sich gerade aus dem branchenübergreifenden Denken Chancen. So forschen wir im Automobilbereich an neuen Mobilitätskonzepten. Die gewonnenen Erkenntnisse helfen aber auch in Logistikprojekten bei Unternehmen aus der Produktion. Dieses Vernetzen sorgt dafür, dass von neuem Wissen und neuen Fähigkeiten die ganze Organisation und alle Kunden profitieren.
ANGELA CARELL: Zum Abschluss möchte ich noch unterstreichen, dass das Beschäftigen mit Forschung und Innovation nicht nur unmittelbaren faktischen Nutzen hat. Es hilft uns auch dabei, neugierig zu bleiben und mit großer Unsicherheit umzugehen. Dabei, andere Möglichkeiten zu sehen und neue Wege zu gehen.
THOMAS BENDIG: Und Neugierde gehört seit einem Vierteljahrhundert zu unseren Grundfesten.
Dr. Angela Carell leitet seit mehr als zehn Jahren bei adesso den Forschungsbereich. Zusammen mit ihrem Team sucht und entwickelt Dr. Carell Zukunftsthemen in Anwendungsbereichen der IT. Mit zahlreichen Forschungskonsortien werden so wichtige Erkenntnisse für neue IT-Lösungen gesammelt, um anschließend diese auch direkt bei adesso zu verwerten.
Thomas Bendig ist CIO bei adesso und erkennt frühzeitig Trends, Hypes und neue Technologien. Wichtig ist für Thomas Bendig, diese Trends richtig einzuschätzen und zu bewerten. Mit den Ergebnissen werden dann bei adesso die Weichen so gestellt, dass man frühzeitig in der Lage ist, seinen Kunden innovative Softwarelösungen anzubieten.
Prof. Dr. Volker Gruhn gründete 1997 die adesso SE (ehemals adesso AG) mit und ist heute Vorsitzender des Aufsichtsrats. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Software Engineering an der Universität Duisburg-Essen. Prof. Dr. Gruhn ist seit 2017 Mitglied des Digitalisierungsbeirats der DAK-Gesundheit. Er gehört mit Wirkung zum 1. März 2019 dem Hochschulrat der Universität Leipzig an. Zudem ist er im Kuratorium des Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik.
Hören Sie rein – unser Podcast zum Thema Forschung und InnovationSie wollen mehr über das Thema erfahren? Dann empfehlen wir Ihnen diese Folge unseres adesso-Podcasts „IT-Tacheles“. Dr. Angela Carell, Thomas Bendig und Prof. Dr. Volker Gruhn diskutieren über Trends, Technologien und Geschäftsmodelle.